Donnerstag, 7. Oktober 2010

The Real Underground

Vierzig Personen machen sich am 7.10.2010 auf den Weg singend durch die Stadt zu ziehen. Es ist der Wiener Beschwerdechor - ein Projekt von Oliver Hangl. Am Beginn dieses Jahres verwandelte der Musiker Sir Tralala Beschwerden in Musik und Stefan Foidl, Gründer des Jazz Chor Wien, einen sehr gemischten Haufen von Suderanten in einen Chor. Der Chor tritt nun schon einige Monate regelmäßig in der Stadt auf - entweder als ungefragte Intervention, dort wo es gerade nötig erscheint, oder auf Einladung von Freund/innen und Kolleg/innen - zumeist aus der Kunstszene.

Wir - ich bin Mitglied des Chors - stehen dabei ganz unterschiedlichen Menschen in den unterschiedlichsten Situationen gegenüber. Heute waren das:
Gerade die beiden letzteren Stationen sind ein paar Zeilen wert. Um den folgenden, schon mit den Veranstaltern des Festivals im Theater Nestroyplatz koordinierten, Auftritt zeitgerecht beginnen zu können, war für den Aufritt am Praterstern nur wenig Zeit. Wir sangen dort eine Kurzversion des Beschwerdeliedes, in schneller Aufstellung vor dem Bahnhof - gerade zwischen Alkoholisierten, Obdachlosen und nachhause hastenden Werktätigen. Die Wirkung war famos: Es wurde innegehalten, gelauscht, mitgegröllt und verwundert/interessiert geschaut. Eine Intervention im wirklichen Leben.

So komplett anders der Auftritt 15 Minuten später vor dem Publikum des Festivals Underground City 21. Erwarteten wir hier ein freundliches und aufgeschlossenes Gegenüber, so war die Enttäuschung groß. Ein sichtlich vom vielen "Underground" schon etwas gesättigtes Grüppchen (15 Personen), schaffte es gerade einmal bis zum Mittelteil unserer ohnehin sehr kurzen Performance. Man zog sich wieder in's Theater zurück.

Ein mehrdimensionaler Rückzug wir mir scheint. 1) Das Publikum hat sich in dessen Rolle bestätigt: Es konsumierte. 2) das traditionelle Setting der Aufführung wurde fortgeschrieben: Der Chor tritt auf die Bühne - das Publikum interagiert nicht (in diesem konkreten Fall durch erbrachte Wertschätzung oder artikulierten Widerspruch) und 3) die Veranstaltung bleibt hinter den eigenen Ansprüchen zurück.

Oder legt uns Thomas J. Jelinek, in seinem Statement auf der Veranstalter/innenhompepage bereits die Blaupause für ein "Verschwinden des Anspruchs" des so genannten Undergrounds nahe?

... Damit möchte ich neben dem virulenten thema des schwindens von öffentlichem raum mit dem auch das verschwinden eines untergrund-begriffs, (bzw. der widerständigkeit und gegenentwürfe) verbunden ist, auch einen anderen theaterbegriff positionieren, der weit über vorhandenes wie situationismus, aktivismus im öffentlichen raum oder stationentheater etc. hinausgeht und bewusst dem landläufigen aufsagen von auswendig gelerntem text in gebastelten kontexten in "sparten-kisten" gegenüber steht. ... (Thomas J. Jelinek)

Der Vorhang geschlossen, viele Fragen offen!

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